Wir sind dann mal in China...5. Woche

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Sonntag, 12.8. - ein Arbeitstag für Dieter

Wie schon berichtet, gelten die Wochenenden hier nicht unbedingt als arbeitsfrei. Des Sonntags gänzlich ungeachtet steht auf Dieters Stundenplan heute von 9:00 bis 11:30 eine Diskussion mit chinesischen Doktoranden. Nun gut, unter der Woche ist er ja auch völlig frei in seiner Entscheidung, ob oder wann er am Lehrstuhl auftaucht, von festen Terminabsprachen hier und da mal abgesehen.

Darüber hinaus bleiben wir schlicht zuhause, gucken Olympia im Fernsehen und planen unsere Urlaubsreise übernächste Woche.

 

Montag, 13.8. - nochmal Lust auf Supermarkt?

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Dann lasst uns heute noch ein paar interessante Angebote ansehen. Bei all den Halbfertigprodukten gibt es noch eine Theke mit der ich so rein gar nichts anzufangen weiß. Das sind kalte Lebensmittel, die offen verkauft werden. Als Chinese würde ich wohl einfach hingehen, Deckel lupfen, reingreifen, probieren… Das traue ich mich aber nicht, daher bin ich schlicht ahnungslos, was sich unter den Glasdeckeln befindet. Vom bloßen Anschauen kann ich's nicht erkennen. Ich habe auch schon anderen Kunden über die Schulter geschaut, wenn sie sich dort bedienten, bin aber nicht dahinter gekommen, ob das was Süßes ist oder Früchte oder sonstwas konserviertes, denn gekühlt im Sinne von Kühltheke ist das Ding nicht. Sobald ich schlauer bin, lasse ich es Euch wissen…

Süßigkeiten, Salzgebäck, Kekse und Gebäck gibt es in sehr großer Auswahl, teilweise chinesische Produkte, aber auch viel importiertes, vor allem was Schokolade angeht. Während die USA ja beim Essen immer gern die XXL-Varianten anbieten - ich erinnere mich schmunzelnd an die 5l-Kanister Eis - haben die Chinesen gerade beim Naschen eher die Vielfalt im Auge und präsentieren auch viele ganz klitzekleine Einzelpackungen, die man sich zum Kilopreis abwiegen lassen oder auch als "Pfennig-Artikel" erstehen kann.

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Aber irgendwie ticken die chinesischen Geschmacksnerven beim Thema Naschen doch total anders als unsere. Oder würdet Ihr Euch mal so zwischendurch ein Stückchen Schweineohr, Trockenfisch oder konserviertes Hühnerfüßchen reinziehen? Auch getrocknetes, scharf gewürztes Fleisch muss lecker sein. Diese Hühnerfüßchen sind irgendwie DIE Schleckerei schlechthin, gibt's zu hunderten im Supermarkt aber auch an jedem Straßenkiosk. Während unsere Kleinkinder an den Kassen schon mal nach einem Schokoriegel oder Gummibärchen zetern, strahlen die kleinen Chinesen über alle 4 Backen, wenn Mutti ihnen ein eingeschweißtes, blasshäutiges, gekochtes Hühnerfüßchen mit Knochen in die Hand drückt. Dummerweise habe ich die Dinger vergessen zu fotografieren, wird aber nachgereicht. Hier kann ich Euch momentan nur das einzige Füßchen präsentieren, das unseren Haushalt je erreichte. Es hat sich in einer Packung mit sehr leckeren gegrillten Hähnchenkleinteilen einfach mit eingeschlichen und landete - ich gestehe es - im Müll. Dieter wollte sogar den Tisch verlassen, als das Leckerchen in der Packung zum Vorschein kam. So dunkel (weil gegrillt?) sieht es aber auch noch viel furchtbarer aus als nur gekocht.

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Dienstag, 14.8. - Hühnerfüße und nette Menschen

Bringen wir also unseren gemeinsamen Einkauf heute zu Ende. Wie versprochen, habe ich die würzigen Naschereien nochmal im Detail fotografiert. Und ich war sogar wild entschlossen so ein Hühnerbein käuflich zu erwerben, und zu essen, um Euch auch das Geschmackserlebnis wenigstens verbal rüber zu bringen. Hat aber nicht geklappt. Um nicht auf einer ganzen Packung sitzen zu bleiben, suche ich mir so ein klitzekleines Einzeltütchen aus und packe es in meinen Einkaufswagen. Als letzten Artikel meines Einkaufs nimmt der Kassierer das Tütchen und legt es gänzlich kommentarlos einfach neben seine Kasse und beachtet es überhaupt nicht mehr, schließt den Vorgang ab, dreht mir höflich die elektronische Summenanzeige zu und nimmt mein Geld entgegen. Als ich mit fragendem Gesichtsausdruck auf das Hühnerbeinchen deute, lächelt er freundlich, zuckt die Schultern und widmet sich der nächsten Kundin. Nun gut, wer weiß welcher Kelch auf diese Art an mir vorüber ging?

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Aber nochmal zurück zu den Kassen. In keinem der hiesigen Märkte, auch nicht bei METRO, wo ja bewusst große Mengen eingekauft werden sollen, gibt es ein Förderband oder sonstwie halbwegs ausreichend Platz, um seinen Einkauf vor der Kasse zu drapieren. Und hinter der Kasse gibt's gar nichts mehr, nur einen Stapel Einkaufskörbe. In den obersten packt der Kassierer Deine Sachen. Auch zur Übergabe des Geldes gibt es keine Ablage oder so, völlig unorganisiert und mega unpraktisch. Ob noch nie einer der Supermarktmanager oder ein zuständiger Innenarchitekt in Europa oder USA eingekauft hat? Die Chinesen sind doch sonst so gut im Kopieren. Aus einem Buch weiß ich, dass seit Jahren auch in China das bargeldlose Bezahlen ganz zaghaft auf dem Vormarsch ist. Tatsächlich haben aber die allerwenigsten Chinesen überhaupt ein Girokonto. Hier wird wirklich alles noch bar bezahlt. Es gibt Scheine zu 1, 5, 10, 50 und 100 Yuan, größere Münzen mit der Aufschrift 1, und kleinere mit 5 und 1. Inzwischen weiß ich, dass die großen auch 1 Yuan wert sind, die kleineren sind Jiao im Wert von ˝ bzw. 1/10 Yuan. Die Preise haben durchaus eine zweite Kommastelle, auf dem Kassenzettel wird diese auch in der Summe ausgewiesen, tatsächlich wird aber generell zugunsten des Kunden abgewertet. Statt 14,68 Yuan zahle ich also nur 14,60 weil es keine kleineren Münzen gibt.

Ganz zum Schluss des Einkaufs gibt's da noch den freundlichen Kassenzettel-Kontrolleur. Er wartet am Ausgang und möchte von jedem Kunden den Kassenzettel sehen, um diesem einen kleinen runden, roten Stempel aufzudrücken. Keine Ahnung, was es damit auf sich hat, aber es ist wiederum ein zusätzlicher Arbeitsplatz.

Seit gestern bin ich am organisieren, dass unser Sohn Patric, wenn er uns Anfang September besuchen kommt, nicht nur unser Klappsofa unter sich, sondern auch eine Zudecke über sich haben kann. Mit meinem Anliegen wende ich mich an unseren "house-manager". Das ist ein Student, der hier im Haus eine WG im Erdgeschoss bewohnt. Er ist für alle Wohnungen unseres Aufgangs zuständig. "If there is any problem, don't hesitate to call me!" versicherte er uns am Tag unserer Ankunft bestimmt 20 Mal. Dumm nur, dass er nie da ist. Also drucke ich mein Anliegen aus und klebe den Zettel mit Tesafilm an seine Tür. Schon 3 Stunden später klebt seine Antwort umgekehrt an unserer Tür. In gestochen scharfer lateinischer Schrift teilt er uns mit, dass Bettzeug allein ja viel zu unbequem sei und man daher ein Studentenzimmer für Patric organisieren würde. Das wiederum finden wir wegen 3 Nächten nun total übertrieben, und das Muttertier in mir will das Kind doch bei sich haben! Also bekommt er wieder eine gedruckte Antwort - meine Handschrift möchte ich ihm wirklich nicht zumuten - mit der Bitte, wirklich nur eine Garnitur Bettzeug zur Verfügung zu stellen. Daraufhin herrscht Funkstille. Mein Plan ist es, ihn heute Abend persönlich anzusprechen, um das zu klären.

Am helllichten Nachmittag klingelt es an unserer Tür, das gab's noch nie! Mutig gehe ich an die Gegensprechanlage. Von unten ertönt eine freundliche Frauenstimme mit einem nicht endenden chinesischen Redeschwall. Nach mehrfachen Unterbrechungen meinerseits scheint sie zu verstehen, dass ich nichts verstehe. Ich drücke auf den Türöffner und höre wie sie flinken Fußes die Treppe hocheilt. Sie strahlt mich freundlich an und redet in einer Tour weiter chinesisch auf mich ein, während ich ihr mit Worten, Mimik und Gesten ebenso freundlich versuche beizubringen, dass ich immer noch nichts verstehe. Ich bitte sie herein. Zielsicher geht sie ins Büro und ist offenbar völlig überrascht, dass es so aussieht, wie es aussieht. Sie zieht mich zum Fenster und weist schräg hinunter, wo ich die Fahrradständer des Nachbarhauses und den Wäscheplatz sehe aber sonst nichts. Sie erkennt nun, dass unsere Kommunikation wohl wenig zielführend ist, verabschiedet sich sehr höflich und geht. 3 Minuten später klingelt es erneut. In sehr gebrochenem Englisch erklärt mir ein junger Mann, dass seine Mutter den Auftrag habe, sich um das Bett meines Sohnes zu kümmern. OH JA, jetzt funkt's bei mir. Er möchte nur wissen, ob das so richtig wäre, was ich ihm bestätigen kann. Aus dem Fenster sehe ich, wie Mutter und Sohn wieder vom Haus weglaufen. Sie tauchen auf der anderen Hausseite am Wäscheplatz wieder auf und nehmen dort Bettdecke, Unterbett und Kissen von der Leine. Daher der Fingerzeig in diese Richtung. Ich bin aber auch schwer von Begriff! Wenig später klopft es direkt an der Wohnungstür, da gibt's nämlich keine Klingel. Im Flur stehen Mutter und Sohn mit dem Bettzeug beladen. Ich bitte sie herein und nehme ihnen die Sachen ab. Der Sohn übersetzt, dass seine Mutter gar kein zweites Bett in der Wohnung gefunden hätte - das war der überraschte Blick ins Büro! Ich verklickere ihm die Umbaufunktion des Sofas. Er versteht und übersetzt es seiner Mutter, die ist ob dieser ihr offenbar völlig neuen Erfindung ganz aus dem Häuschen und klatscht vor Begeisterung lachend in die Hände. In Englisch mit Unterstützung von Zeichensprache anhand unseres Betts frage ich nach Bettbezug und Leintuch und werde offenbar verstanden. Ja, seine Mutter würde sofort wiederkommen und das Bett beziehen. Davon kann ich die beiden abhalten, denn diese Arbeit schaffe ich doch glatt alleine. Binnen weniger Minuten ist die Frau zurück und bringt mir die erbetene Bettwäsche. Ich ärgere mich wirklich, dass ich mich überhaupt nicht mit ihr verständigen kann, sie ist so ausgesprochen freundlich.

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Mittwoch, 15.8. - "Uff dr China-Eisabahne wollt amol a Ricki fahre…

…goht an Schalter, lupft dr Hut, oi billettle, sen's so gut…." Nee, ganz so einfach ist das hier nicht! In China ist die Bahn DAS Verkehrsmittel schlechthin, alle wollen mit, immer gut ausgelastet und ziemlich preiswert. Ab kommenden Samstag wollen wir ja ein bisschen durchs Land reisen. 2005 waren wir schonmal von Nanjing aus in Peking. Damals gab es keine brauchbare Alternative zum Fliegen. Für die gut 1000 km hätte man einen 14-Stunden-Nachtzug nehmen müssen und nach unseren damaligen Erfahrungen der 300 km zwischen Shanghai und Nanjing hatten wir darauf echt keine Lust. In der Zwischenzeit hat sich die chinesische Bahnlandschaft jedoch drastisch gewandelt, es gibt Schnell- und Superschnellzüge, die mit 160 bis 350 km/h durch das riesengroße Land rasen. Für unsere Fahrt nach Peking nehmen wir diesmal einen G-Train, den schnellsten von allen, und überwinden die 1023 km in gut 3 ˝ Stunden.

Aber das ist ja noch Zukunftsmusik, von der Fahrt berichte ich dann später. Momentan steht der Fahrkartenkauf auf meiner Abenteueragenda. Im Internet kann man nur buchen, wenn man ein chinesisches Girokonto hat, und dann auch nur in chinesischer Sprache. Damit fällt diese bequeme Buchungsart für uns also aus. Dann gibt es noch die Fahrkartenschalter am Bahnhof und spezielle Reisebüros für Bahnfahrkarten. Letzteres empfiehlt man Dieter am Lehrstuhl, es gibt eins direkt an unserem Nordausgang des Campus'. Prima, denkt unsereins und sucht im Internet sämtliche Zugverbindungen für unsere 2-wöchige Rundreise heraus. Da ich die Gepflogenheiten der chinesischen Bahn ja nicht kenne, mache ich mir Sorgen, ob meine geplante Reise von Datong über Peking nach Qinhuangdao wohl mit einer Umsteigezeit von knapp 1 Stunde am Pekinger Hauptbahnhof zu knapp kalkuliert sein könnte. Als Deutscher rechnet man beim Stichwort "Bahn" ja generell mit nicht unerheblichen Verspätungen. Um das zu klären, wende ich mich direkt an die auf der Internetseite angegebene mail-Adresse und beginne einen sehr interessanten Austausch mit Herrn Guo Shi Zeng. Den Zahn, dass ich tagsüber von Datong nach Qinhuangdao fahren kann, zieht er mir sofort. Der Zug, den ich mir von Datong nach Peking rausgesucht habe sei ein internationaler Schnellzug, der in Datong zwar anhält, aber niemanden zusteigen lässt, nur Aussteigen sei möglich. Außerdem müsse ich bei der Ankunft an jedem Bahnhof mit bestimmt ˝ Stunde zum Auschecken rechnen und zum erneuten Einchecken sei mindestens 1 Stunde anzusetzen. Die Abfertigungsmaßnahmen seien genauso aufwändig und langwierig wie auf dem Flughafen.

Als Alternative schlägt er mir einen Nachtzug vor. Der startet gegen 22:00 Uhr in Datong und kommt kurz vor 9:00 Uhr in Qinhuangdao an. Ok… da hilft wohl alles nichts. Im Internet finde ich einigermaßen beruhigende Informationen über die gute Ausstattung dieser Nachtzüge. Man kann zwischen "Hartschläfer" und "Weichschläfer" wählen. Bei den Hartschläfern zweigen von einem Gang immer offene 6er-Einheiten ab, wo beidseits je 3 Betten übereinander angeordnet sind. Die Weichschläfer teilen sich zu viert ein abgeschlossenes Abteil mit jeweils 2 Stockbetten. Nach unserer Rundreise werde ich ausführlich mit Fotos darüber berichten.

Zum Fahrkartenkauf hat Mr. Zheng auch noch eine Neuigkeit für mich: Immer erst 10 Tage vor der geplanten Fahrt gehen die Fahrkarten in den Verkauf und ich muss von allen Reisenden wenigstens Kopien der Ausweise vorlegen. Da die Züge meist sehr gut besucht sind, sollte man also tunlichst diesen ersten Verkaufstag nutzen, vor allem wenn man mit 5 Personen beieinander sitzen oder schlafen möchte. Das bedeutet für mich also 7 Besuche im Reisebüro für 7 Zugfahrten an 7 Tagen in einem Zeitraum von 2 ˝ Wochen. Wohl dem, der sonst grad nix vorhat!

Zur Buchung unserer ersten Fahrt von Nanjing nach Peking am 18.8. begleitete mich Bob, unser freundlicher Helfer in allen Lebenslagen, schon vergangene Woche ins Reisebüro. Die Vorstellung einer mit allerlei verlockenden Postern dekorierten, mit tausend Prospekten bestückten einladend gestalteten Reiseagentur deutscher Machart werfen wir mal gleich gaaaaaanz weit weg. Auch den Schreibtisch mit Sitzgelegenheit für die Kunden und die Klimaanlage sucht man im hiesigen Reisebüro vergebens. Stattdessen ein kahler Raum mit ziemlich zerfledderten Fahrplanausdrucken an den Wänden, drückende, schwüle Hitze und eine raumhohe Panzerglasscheibe, die einen von den beiden Damen dahinter trennt. Vor uns warten schon 3 Kunden geduldig in der Schlange, aber wir haben noch Glück, denn hinter uns wird's dann richtig voll. Mir ist unklar, warum jeder Kunde endlos mit der Schalterdame diskutieren muss, er wird doch vorher wissen welchen Zug er haben will, oder? Bob klärt mich auf, dass die Züge sehr oft ausgebucht sind und dann geht die Sucherei los. Wir haben Glück, mein gewünschter G-Train nach Peking hat in der ersten Klasse noch 2 Sitze frei, sogar nebeneinander. Mit 750,-Yuan pro Ticket ist das zwar genauso teuer wie fliegen, aber nach unseren Erfahrungen vom letzten Jahr im Zug zwischen Nanjing und Shanghai wissen wir sehr genau, warum wir unbedingt 1. Klasse sitzen möchten, aber auch davon später mehr…

Damit ich nun nicht ständig Bob bemühen muss, mir beim Fahrkartenkauf beizustehen, bitte ich ihn um schriftliche Unterstützung. Ich liste alle meine Wunschzüge in englisch auf und er übersetzt es mir in chinesische Schrift. Daraus erstelle ich mir für jeden einzelnen Zug ein extra Blatt. Mit meinem und Dieters Reisepass, Kopien der Pässe von Pascal, Julia und Patric und meinem ersten Datenblatt, (der Zug von Peking nach Datong am 25.8.) spaziere ich also heute Vormittag bei NUR 32° ins unklimatisierte Reisebüro. Zum Glück sind nur 2 schnell abgefertigte Kunden vor mir. Ich reiche der Schalterdame meinen schlauen Zettel durch den schmalen Schlitz. Sie liest und ruft erstmal ihre Kollegin zu Hilfe - kein gutes Zeichen! Beide können offenbar kein Wort englisch. Trotzdem schaffen wir 3 Frauen es per Zeichensprache und einem kleinen Fresszettel, uns zu verständigen: Zahlen sind hierzulande ja durchaus in arabischen Ziffern geläufig. Also zeigt sie mir einen Zettel mit folgender Info:

    2012-08-25
    10
    9
    2012-08-16
    15:00
Dazu eine Geste von trippelnden Fingern Richtung Tür hinaus und dann wieder zurück. Daraus folgere ich: Für die Fahrt am 25.8. kann ich nicht schon 10 Tage vorher buchen, sondern nur 9 Tage vorher. Ich muss also morgen, am 16.8. nach 15:00 Uhr wiederkommen. Ich finde, das hat sie mir prima verklickert!

 

Donnerstag, 16.8. - Ich hab sie !!!

Tatsächlich klappt es heute problemlos mit den Fahrkarten. Obwohl die Schlange am Schalter fast bis zur Tür reicht, bin ich nach nur 20 Minuten Warten bereits dran. Glücklicherweise waren da ganze Familien und Freundeskreise gemeinsam aufgetaucht, so dass nur etwa jeder 4. am Schalter was zu diskutieren hatte, der Rest war wohl nur moralische Unterstützung. Jedenfalls brauchte ich wirklich nur mit einem freundlichen "Ni Hao", was "Guten Tag" heißt, meinen schlauen Zettel durchzureichen und die Dame wusste gleich, was ich will und fand schnell 5 beieinander liegende Plätze für uns. Das Langwierigste an der Übung war das Abtippen unserer 5 Reisepassnummern. Damit ist nun jedes Ticket genau auf diese eine deutsche Person fixiert.

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Wir fahren also mit dem Zug Nr. K729 von Beijing Westbahnhof nach Datong, Start ist am 25.8.12 um 11:11 Uhr, wir haben im Wagen 11 die Plätze 10 bis 14 und bezahlen für die 350 km weite Fahrt in der ersten Klasse 153,- Yuan pro Person, also rund 19,- €. Da kann man doch nicht meckern.

Theoretisch und planerisch sieht es also soweit gut aus für unsere Abenteuerreise als hierzulande absolut seltene Spezies des Individualtouristen. Morgen gibt's noch viele Vorbereitungen, so dass ich nicht zum Schreiben kommen werde und am Samstag früh starten wir nach Peking. Ich verabschiede mich daher virtuell für die nächsten 19 Tage von Euch, um ab dem 6.9. hoffentlich viele interessante, erfreuliche und lustige Reisegeschichten hier mit Euch zu teilen. Macht's gut bis dann…

 

Samstag, 18.8. - ab nach Peking

Manchmal sollte man doch eher unbescheiden sein. Gestern noch hatte Prof. Rui angeboten, einen Fahrer für uns zum Bahnhof zu arrangieren und wir lehnten mal wieder dankend ab, da wir uns ja mit der S-Bahn in Nanjing mittlerweile recht gut auskennen. Und nun regnet es in Strömen als wir uns auf den 15-Minuten-Fußmarsch Richtung S-Bahn machen. Nein, so macht das Reisen keinen Spaß, selber Schuld! Etwa 50 Minuten stehen wir in der gut gefüllten Untergrundbahn bis wir endlich den Nanjinger Südbahnhof erreichen. Laut chinesischem Fernsehen ist es der zweitgrößte Bahnhof der Welt, was die Dach- und Bodenfläche angeht. Er wurde im Sommer 2011 eröffnet und rund 120 Mio Fahrgäste kommen hier jährlich durch. Alles ist sehr, sehr groß, glänzend sauber und ziemlich übersichtlich gestaltet. Wir finden unseren Weg problemlos. Beim Betreten des Bahnhofs im oberen Stockwerk erfolgt die vom Flughafen bekannte Gepäck- und Personenkontrolle. Ohne Fahrkarte und Ausweis kommt hier keiner rein. Die Fahrkartenschalter befinden sich einen Stock tiefer. Im Inneren des Bahnhofsgebäudes finden wir eine riesengroße Wartehalle mit Sitzgelegenheiten vor. Links und rechts gibt es Abfertigungsschalter nach Bahngleisen getrennt, dort erscheint auch unser Zug G3 auf der Anzeigetafel von Gleis 9. Also wissen wir schon mal, wo's später langgeht. Bereits jetzt, rund 45 Minuten vor der Abfahrt sind die Sitzreihen in der Warteposition gut gefüllt. Wir machen uns aber erstmal auf die Suche nach einer Art Frühstück und werden auch fündig. 1 Tasse Kaffee und so was ähnliches wie ein Stückchen Obstkuchen gibt's bei "bread talk".

Auf den Bahnsteig kommt man als Fahrgast erst im letzten Moment. Rund 10 Minuten vor Einfahrt des Zuges öffnen sich die entsprechenden Abfertigungsschalter im Wartesaal. Fahrkarten und Ausweise werden nochmals kontrolliert und man folgt der Menschenherde über eine Brücke nebst Abwärts-Rolltreppe auf den Bahnsteig. Im Boden sind die Wagennummern eingemeißelt, so dass man sich gleich passend positionieren kann. Unser Zug rollt superpünktlich ein und die Tür zu unserem Wagen hält tatsächlich genau am vorgegebenen Punkt, feine Sache!

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Drinnen erwartet uns eine große Menge Beinfreiheit und Bequemlichkeit.

Kurz nach dem Start kommt eine Schaffnerin durch um nochmals die Tickets zu kontrollieren, zum dritten Mal nun. Ihr folgt eine Stewardess, die kostenlose Getränkeflaschen und Kekstüten verteilt. Unsere kleine Reise von 1023 km soll 3:39 Stunden dauern und ohne Zwischenstopp verlaufen. Die bequemen Sitze lassen sich gut in Ruheposition verstellen, bieten kleine Tische, Stromanschluss, Anschlüsse für das Bordentertainment und W-Lan.

Ach ja, ich wollte ja noch berichten, warum wir in China lieber 1. Klasse reisen: Im September 2011 fuhren wir auch in einem solchen Superschnellzug von Nanjing nach Shanghai. Während ich alter Schwabe natürlich 2. Klasse gebucht hätte, bestand unsere Gastgeberin Ling auf die 1. Klasse, weil die 2. so überfüllt sei. Während der Fahrt wollten Ling und ich aus purer Neugier mal den Speisewagen besuchen, wobei unser Weg auch durch die 2. Klasse führte. Rein von der Ausstattung her auch sehr angenehm, viel mehr Beinfreiheit als in Deutschland und im Gegensatz zur 1. Klasse halt 5 statt nur 4 Sitze pro Reihe. Aaaaaber, voll ist gar kein Ausdruck! Die übliche chinesische Geräuschkulisse, sprich ziemlicher Lärm, der Gang voll mit Kinderwagen, Gepäck und auch Hühnerkäfigen und das Schlimmste: Kleinkinder tragen in China schon sehr früh keine Windeln mehr, stattdessen Hosen mit nacktem Po und dürfen "müssen" wann und wo sie wollen. In diesem Waggon floss nun -je nach Beschleunigung oder Bremsen- ein gewisses Rinnsal längs durch und verbreitete den unvermeidlichen Geruch dazu. Nun versteht Ihr sicher, warum ich urplötzlich zur überzeugten Luxusreisenden mutierte, oder?

Die Aussicht während der Fahrt wird zunehmend schlechter. Je dichter wir nach Peking kommen, desto diesiger wird es, echtes Waschküchenwetter. Nach unserer pünktlichen Ankunft ist das Wetter unser geringstes Problem. Beim Aussteigen werden die Passagiere unter den Bahngleisen hindurch zum Ausgang geführt, Abzweigen und eigene Wege gehen völlig unmöglich, alles abgeschrankt. So finden wir uns nach abermaligem Fahrkartencheck im unterirdischen Bereich Taxiabfahrt und U-Bahnzugang wieder. Eigentlich wollten wir aber noch am Bahnhof eine internationale Kleinigkeit essen und vor allem die nächsten Fahrkarten kaufen. Also arbeiten wir uns entgegen des allgemeinen Stroms zurück in den Bahnhof zu den Fahrkartenschaltern. Es gibt etwa 10 Stück nebeneinander und an jedem Schalter steht vorne oben drüber eine andere chinesische Aufschrift, nichts in Englisch. Vor sämtlichen Schaltern warten jeweils ca. 50 Personen. Ich stelle mir vor, dass ich also etwa 1 Stunde in der Schlange stehen werde um dann zu erfahren, dass ich an einen ganz anderen Schalter hätte gehen müssen. Darauf habe ich überhaupt keine Lust und wir beschließen, auch in Peking die weiteren Fahrkarten in den vielen kleinen Reisebüros zu erwerben. Beim Essen bei BurgerKing bemerken wir, dass die Preise in Peking offenbar einiges höher sind als in Nanjing, wir bezahlen für 2 Menüs immerhin knapp 9,- €.

Gut gestärkt stürzen wir uns in das Abenteuer Peking-Metro. Alles was wir in unseren zusammen über 100 Lebensjahren an Gedränge und Menschenmassen jemals erlebt haben, wird hier um ein Vielfaches übertroffen. Und es ist nicht etwa Haupt-Berufsverkehr, nein Samstagnachmittag 15:00 Uhr. Die uns bevorstehende Fahrt dauert rund 1 Stunde mit einmal Umsteigen. Jede Fahrt, egal wie weit kostet generell 2,- Yuan, zumindest insoweit erfreulich unkompliziert, aber nun versuche mal mit Koffer und Rucksack irgendwie in diese S-Bahn rein und an der passenden Station auch wieder rauszukommen. Mit Höflichkeit geht das leider überhaupt nicht, da hilft wirklich nur Drängeln, Schubsen, Quetschen. Und wenn man im Zug drin ist, schon die Luft anhält, weil es so dermaßen voll ist, dann kommen garantiert nochmal 10 Chinesen um die Ecke und quetschen sich noch zusätzlich hinein, es ist echt unglaublich!

Aber irgendwie erreichen wir tatsächlich unsere angepeilte Station "Beitucheng" südlich des Olympiazentrums, rund 10 km nördlich des Stadtzentrums. Obwohl wir auf google maps wirklich genau recherchiert hatten, wo denn unser gebuchtes Holiday-Inn-Express liegt, können wir es kaum finden. An der Metro, wo wir einen offenen Park vermuten mit dem Hotel mittendrin, erwartet uns eine hohe Mauer, ein Schalter für Eintrittskarten und ein Chinese, der von unserem Hotel noch niemals nix gehört oder gesehen hat. Bei seichtem Nieselregen, gut 30° und sinkendem Gute-Laune- Pegel marschieren wir nebst Gepäck einmal um den halben Block um am vermeintlichen Nordende des Parks auf eine Parkplatzzufahrt zu stoßen, die auch keinen Holiday-Inn-Hinweis enthält. Zum Glück weiß der Parkwächter, dass sich das Hotel wirklich an diesem Parkplatz befindet und weist uns den Weg. Erfreulicherweise ist wenigstens unsere Buchung im Hotel bekannt und das Hotelzimmer ist auch ganz ok und angenehm klimatisiert.

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Nach einer kurzen Ruhepause, Koffer auspacken und irgendwie halbwegs sinnvoll einrichten, machen wir uns erneut auf zur Metro um die Innenstadt zu erkunden. Diesmal verlassen wir das Hotel in südlicher Richtung und kommen nach nur 5 Minuten Fußweg an der S-Bahn-Station an. So ein klitzekleines Hinweisschild zum Hotel würde hier Wunder wirken, aber meinen diesbezüglichen Vorschlag versteht das Hotelpersonal leider nicht, die können nämlich so gut wie kein Englisch. Alles was über die üblichen Höflichkeitsfloskeln und die zum Ein- und Auschecken nötigen Redewendungen hinausgeht, übersteigt die Kenntnisse sämtlicher Mitarbeiter. Für eine amerikanische Hotelkette eigentlich mehr als peinlich.

Mit dem angemessenen Elan drängeln Dieter und ich uns in die Metro hinein, steigen 2 mal um und erreichen unbeschadet die bekannteste Einkaufsmeile der Pekinger Innenstadt. Freundlicherweise hat der Regen nachgelassen, so dass wir ohne Schirm herumschlendern können. Zu dumm nur, dass etwa 2 Millionen Chinesen an diesem trüben Samstag genau das Gleiche vorhaben! Diese Stadt ist einfach nur voll, voll, voll! Etwas Luft hat man nur in den exquisiten Einkaufstempeln, wo die teuren Marken der Welt - wahrscheinlich wirkliche Originalware - zu teuren Weltmarktpreisen angeboten werden. Da wo der Chinese seine täglichen Waren einkauft und der Tourist ein Schnäppchen wittert, wird gedrängelt und/oder Schlange gestanden. Die Suche nach den in Nanjing so häufigen kleinen Reisebüros für Zugtickets bleibt hier leider erfolglos, bestimmt kann man uns aber im Hotel weiterhelfen. Unser Abendessen finden wir im UG eines Kaufhauses. Dort gibt es eine "Deli-Street" mit sehr vielen kleineren Restaurants aus aller Herren Länder. Wir entscheiden uns für was chinesisches, wo man die gewünschte Speise aus Vorführtellern aussuchen kann. Und wir haben Glück, es sieht nicht nur gut aus, es schmeckt auch ausgesprochen lecker und nicht zu scharf.

 

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