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Wir sind dann mal in China...8. Woche
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1. und 2.9. - mit Patric in Nanjng
Patric hat die Nacht auf unserem eigenartigen Schlafsofa gut überstanden und wir genießen ein
richtig deutsches Frühstück mit Kaffee, Milch, Hefezopf - respektive Brioche, Butter und Marmelade und am Sonntag gibt's
das übliche weichgekochte Ei dazu. Was sind wir schön spießig!?! Petrus meint es Anfang September mal wieder viel zu gut
mit uns und dreht die Nanjinger Sonnenheizung doch glatt nochmal weit über 30° hoch, dazu noch die übliche Portion
Luftfeuchtigkeit und schon wird jeder noch so kleine Spaziergang zur schweißtreibenden Monsteretappe. Die Wahl der
Ausflugsziele überlassen wir unserem Sohn und er entscheidet sich für das Ming-Grab, den Xuanwu-See und die
Yuejiang-Pagode. Bei etwas moderateren Temperaturen hätten wir in 2 Tagen bestimmt mehr ansteuern können, aber wir
lassen es lieber ruhig angehen, die Hitze ist einfach erdrückend.
Das Ming-Grab hatte ich Euch in der zweiten Woche ja bereits vorgestellt. Jetzt allerdings
finden im Park gerade Baumaßnahmen statt und die verwendeten Transporter sind schon sehr sehenswert. Dieter
berichtet, dass diese altertümlich anmutenden Gefährte aber keineswegs nur hier im Park zu finden sind, nein auch auf
dem Uni-Campus ist das die moderne Art Baumaterialien von A nach B zu transportieren, parallel sind aber auch
Lastenträger und spezielle Schubkarren noch täglich im Einsatz.


Am Xuanwu-See wählen wir die bequemste Fortbewegungsart: Elektroboot! Im See befinden sich
mehrere Inseln, die alle durch Wege und Brücken miteinander verbunden sind. Im letzten Jahr waren wir hier viele
Stunden zu Fuß unterwegs und die Parkanlagen sind auch wirklich sehenswert. Aber heute genießen wir das ganze Mal aus
der anderen Perspektive vom Wasser aus.


Nein, der gute Mann ist nicht irgendwo entlaufen… Viele ältere Chinesen, Männer wie Frauen
tragen gerne Anzüge, die wir als Schlafanzüge definieren würden. Ich glaube, das ist eine heutige Form dieser blauen
Einheitsanzüge, die zu Maos Zeiten alle Chinesen trugen, evtl. gar nicht so unbequem und schön leicht bei der
Hitze. Und NEIN, wir machen diesen Modetrend (noch) nicht mit...

Übrigens hat Nanjing eines der 10 höchsten Gebäude der Welt:
Nanjing Greenland Financial Center, 450 m, 89 Stockwerke, fertiggestellt in 2009.

Die Yuejiang-Pagode war noch niemals soooo weit oben wie heute! Ich dachte, ich erleb's nicht
mehr bis wir die vielen Treppen mit all den niedlichen Löwen-Drachenskulpturen endlich erklommen hatten. Aber der
Aufstieg lohnt sich, zum Einen ist die Pagode selbst wunderschön und zum Anderen hat man einen tollen Ausblick auf den
Yangtse und die ganze Stadt.

3. und 4.9. - mit Patric in Shanghai

Am Montagmorgen machen wir uns in Nanjing auf den Weg zur S-Bahn, um am Hauptbahnhof den
Super-Schnellzug nach Shanghai zu nehmen. In nicht ganz 2 Stunden überwinden wir mit 6 Zwischenstopps gut 300 km und landen in unserer
chinesischen Lieblingsmetropole, wo wir am Bahnhof auch endlich mal problemlos ein Taxi zum Hotel ergattern. Nun, das
Hotel ist nicht so ganz der Bringer, aber es ist einigermaßen sauber und liegt sehr günstig: Bund, Peoples-Square,
Nanjing-Road, Yuyuan-Garden und Metro nach Pudong sind schnell zu Fuß erreichbar. Wir packen nur kurz das Nötigste aus
und machen uns dann auf den Weg nach Süden Richtung Yuyuan-Garden. Der liegt in der "Old Town" von Shanghai und besteht
in sich aus 2 Bereichen. Da wäre zum Einen der eigentliche Garten und zum Anderen das Touristen-Einkaufszentrum. Hier
reihen sich lauter kleine Läden und Restaurants mit einem breit gefächerten Angebot nebeneinander. Für's Auge sehr schön
hergerichtet im alten chinesischen Baustil, hinter den Kulissen aber lauert der pure Kommerz. Die Läden sind auch
tatsächlich zu einer börsennotierten Wirtschaftseinheit zusammengeschlossen.
Da mein Shanghai-Bericht insbesondere von den Bildern lebt, erspare ich Euch das Herumklicken,
indem ich die Bilder gleich hier vergrößert einstelle.


Mittendrin befindet sich das älteste Teehaus von Shanghai, da will ich irgendwann mal eine
Teezeremonie mitmachen, aber diesmal haben meine Männer keine Lust. Dieter zieht es magisch in den Garten.
Wir wissen nicht genau, wo der Eingang ist und versuchen uns auf dem Stadtplan zu orientieren. Da bietet uns ein Chinese
unseres Alters in sehr gutem Englisch seine Hilfe an. Er verwickelt uns in ein sehr interessiertes Gespräch über Ost-
und Westdeutschland und weist uns den Weg zum Garteneingang. Eher beiläufig erwähnt er, dass er gerade von der
Mittagspause zurückkommt und hier im Viertel ein Geschäft führt, das wir uns gerne mal ansehen könnten. Dieter ist
überzeugt, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist, während bei Patric und mir die Neugier siegt.
Wir begleiten den netten Herrn also in sein Geschäft: Er ist Perlenzüchter. Irgendwo weit weg von
Shanghai hat er seine Süßwasser-Perlenfarm mit 200.000 Austern, die für ihn "brüten". Im Laden öffnet er extra für uns
eine Auster, damit wir sehen können, wie die Perlen darin lagern. Das ist ausgesprochen interessant und ich höre ihm
gerne zu. Pro Süßwasser-Auster darf man mit 15 bis 25 Perlen rechnen, während die Salzwasser-Austern immer nur eine
Perle bilden. Zu meiner Überraschung befinden sich Perlen verschiedener Farbschattierungen in dieser eben geöffneten
Auster. Man erklärt uns, dass die Farbe vollkommen nachrangig sei. Der Wert der einzelnen Perle richtet sich nur nach
Größe und Formvollendung. Für die hochwertige Schmuckherstellung sind nur 10% der Perlen geeignet, der Rest wird
entweder für billigen Modeschmuck verwendet oder in der Kosmetikindustrie in zermahlener Form in Cremes eingesetzt.
Nach dieser interessanten Einführung kommt was kommen muss: Das Verkaufsgespräch. Für meine Tochter bin ich ja auf der
Suche nach einer Perlenkette, aber niemals nicht würde ich die nun ausgerechnet im größten Touristen-Nap-Viertel von
Shanghai kaufen, zumindest nicht, ohne mir vorher eine Preisvorstellung zu machen. Dass die Perlen hier echt sind,
will ich ja gerne glauben. Patric kauft für seine Freundin ein paar Ohrstecker. Das ist zwar nicht DAS Geschäft, das
der gute Mann sich mit uns erhofft hat, aber immerhin.


Nun aber ab in den Garten! Dieser wurde im 16. Jahrhundert in knapp 20 Jahren von einer wichtigen
chinesischen Politikerfamilie für private Zwecke erbaut, ging dann durch viele weitere private Besitzerhände, verfiel
im 19. und 20. Jahrhundert zusehends, bevor er Ende der 50er Jahre grundlegend restauriert und dann der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wurde. Jedesmal, wenn wir hier sind, träumt Dieter davon, wie er unseren Döbbricker Garten in dieser
Art umgestalten könnte. Zuhause allerdings bringt ihn der bloße Anblick von Schaufel und Spaten sehr schnell auf den
Boden der Tatsachen zurück.



Da es heute etwas diesig ist, beschließen wir, die Wolkenkratzer in Pudong erst morgen zu erobern
und heute auf dieser Seite des Flusses zu bleiben. Auf unserem Weg zur Uferpromenade durchqueren wir ein Wohnviertel,
das an die Hutongs von Peking erinnert. Für unsere Augen sieht das sehr ärmlich und mehr als bescheiden aus, aber die
Leute, die hier wohnen, machen von der Kleidung her gar keinen solchen Eindruck. Ich könnte mir vorstellen, es ist
vielleicht nur eine Stilfrage, ob man in einem neuen, unpersönlichen Hochhaus oder lieber in diesem gewachsenen
Stadtviertel leben möchte. Verlässliche Informationen darüber habe ich aber nicht, ist nur eine Vermutung.


Schließlich kommen wir am "Bund" der Uferpromenade des Huang-Pu heraus. Über den Bund und die
Stadt Shanghai könnt Ihr hier und
dort viel Wissenswertes nachlesen.

An Pudong, dem neuen Stadtteil Shanghais im Osten des Flusses, lässt sich die rasante Entwicklung
Chinas besonders eindrucksvoll ablesen. Bis 1990 gab's dort nichts außer ein paar wenigen Gehöften inmitten von
Reisfeldern. Der Boden ist sumpfig und eher ungünstig zu bebauen. 1990 wurde dann am grünen Tisch beschlossen, dass dort
was großes, neues, modernes entstehen soll. 2005 waren Dieter und ich eine Woche in Shanghai. Damals war Pudong schon
ein Meer von Hochhäusern und Wolkenkratzern, das höchste geschlossene Gebäude war der Gin-Mao-Tower mit 420,5 m. (links)
Der Oriental Pearl Tower (rechts) ist mit 468 m zwar höher, zählt als Turm aber in eine andere Kathegorie
von Skyscrapern. Bei unserem nächsten Shanghai-Besuch im September 2011 wurde Gin-Mao bereits vom 492 m hohen
Financial-Centre überragt, aber in unmittelbarer Nachbarschaft dieser beiden Riesen krabbelte schon der nächste
Wolkenkratzer aus dem Boden, der Shanghai-Tower. Er wird kein Turm, wie der Name vermuten lässt, sondern auch ein
geschlossenes Gebäude von 632 m Höhe, das 2014 fertiggestellt werden soll. Und wenn die Chinesen das so planen, dann
wird das auch so sein, nicht wie unser Hauptstadtflughafen. Darüber lächeln die Chinesen übrigens und wir werden öfter
gefragt, wie sowas denn sein kann.



Wir schlendern einfach dem Fluss entlang nach Norden, genießen
die schöne Aussicht auf Pudong und beobachten den Schiffsverkehr.

Im Gutzlaff Signal Tower (erbaut 1907), einem heute
sehr klein wirkenden Leuchtturm auf dem Bund nisten wir uns auf der Dachterrasse ein, lassen uns ein paar Softdrinks
schmecken und warten den Sonnenuntergang und die damit einhergehende zunehmende Beleuchtung Pudongs ab.



Tja, hätten wir mal den gestrigen Tag für die Wolkenkratzer genutzt, heute ist es nämlich erst
recht diesig und es regnet sogar. Schon länger wollte Dieter gerne das Museum für Wissenschaft und Technik in Shanghai
besucht haben und für diesen regnerischen Vormittag scheint das auch genau das richtige Programm zu sein. Das Museum
hat sogar eine eigene U-Bahn-Station, so dass wir es leicht finden. Nein, stimmt gar nicht: Wir finden problemlos die
Station, aber dort ist das Museum dann nicht mehr ausgeschildert. Stattdessen gibt es tausend Hinweisschilder zu einem
unterirdischen Touristen-Markt, der uns aber eigentlich gar nicht interessiert. Oberirdisch gibt es in Sichtweite 2 sehr
große moderne Gebäude, die beide gleichermaßen das Museum beherbergen könnten. Leider sind auch keine Horden von
Schulklassen unterwegs, an denen man die richtige Richtung festmachen könnte. Alle Chinesen wollen uns mit Macht zu
diesem Markt dirigieren und verstehen das Wort "museum" überhaupt nicht. Dieter hat mal wieder den richtigen Riecher
und drängt uns nach rechts. Ziemlich klein und unscheinbar ist an dem riesengroßen Gebäude aus Glas und Stahl
tatsächlich eine Tafel mit der englischen Bezeichnung des Museums angebracht. Wir verbringen einen trockenen und
einigermaßen interessanten Vormittag, aber z.B. mit dem Technikmuseum in Berlin oder gar mit dem Deutschen Museum in
München kann dieses hier bei Weitem nicht mithalten. Etwa die Hälfte der interaktiven Möglichkeiten sind außer Betrieb
und der größere Teil des Gebäudes ist schlicht leer. Zumindest ist es ausbaufähig.
Nach unserem ausgedehnten Besuch nieselt es draußen immer noch, aber es hilft ja nix, heute oder
nie kann Patric einen der Skyscraper erklimmen - mit dem Aufzug wohlgemerkt. Wir fahren also mit der Metro mitten hinein
in die Wolkenkratzergegend. Als wir aus dem Untergrund auftauchen, hat es zwar aufgehört zu regnen, aber dicke Wolken
verhüllen die oberen Stockwerke von Jin-Mao und Finance-Centre. Nix desto trotz möchte Patric gerne auf die
Aussichtsebene vom Finance-Centre. Das Gebäude sieht ja entfernt so aus wie ein Flaschenöffner und oberhalb des
"Lochs" ganz weit oben befindet sich die Aussichtsplattform, durch deren gläsernen Boden man auch nach unten schauen
kann. Wir gehen auf Risiko, obwohl uns die Dame an der Kasse extra darauf hinweist, dass die Sicht oben gleich 0 sei.
Wir bauen auf Besserung, zumal unser Aufenthalt oben auch keiner zeitlichen Beschränkung unterliegt. Und tatsächlich
reißt die Wolkendecke wirklich just in dem Moment auf als wir oben aus dem Aufzug steigen. Natürlich ist die Sicht
weiterhin beschränkt, aber einen gewissen Überblick über Pudong mit den anderen Wolkenkratzern, den Fluss und den Bund
am anderen Ufer haben wir dennoch.




Die Rückkehr zum Bund realisieren wir diesmal mit der Fähre. Leider nieselt es schon wieder,
so dass das Fotografieren weniger erfolgreich bleibt…



Unseren letzten Abend mit Patric verbringen wir in der Nanjing-East-Road, der Haupt-Einkaufsmeile
von Shanghai. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Nanjing-Lu eine der berühmtesten Straßen der Welt, schon damals mit
großen Kaufhäusern, Casinos, Theatern und Leuchtreklamen. Zu Maos Zeiten ging's mit dem Kommerz natürlich steil bergab,
aber seit der Öffnung Chinas in den 80er Jahren pulsiert das Leben dort wieder.


Mittwoch, 5.9. - zweiter Abschied aber auch ein Wiedersehen
Heute nun heißt es auch von Patric Abschied zu nehmen. Wir wollen ihn noch zum Flughafen PuDong
begeleiten, aber bereits an der Maglev-Station trennen sich unsere Wege. Maglev ist die in Deutschland konstruierte
Magnetschwebebahn, die in Shanghai die Stadt mit dem 30 km entfernt liegenden Flughafen verbindet. Ihr erinnert Euch
sicher an die Rede von Edmund Stoiber, mit der er den Münchnern eben so eine Magnetschwebebahn schmackhaft machen wollte:
"Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München mit zehn Minuten ohne dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen dann
starten Sie im Grunde genommen am Flughafen am am Hauptbahnhof in München starten Sie ihren Flug zehn Minuten schauen
Sie sich mal die großen Flughäfen an wenn Sie in Heathrow in London oder sonstwo meine s Charles de Gaulle in äh
Frankreich oder in Rom wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen, wenn Sie Frankfurt sich ansehen dann werden Sie
feststellen dass zehn Minuten Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen um ihr Gate zu finden - Wenn Sie vom Flug-
äh vom Hauptbahnhof starten Sie steigen in den Hauptbahnhof ein Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den
Flughafen in an den Flughafen Franz-Josef Strauß dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München - das
bedeutet natürlich dass der Hauptbahnhof im Grunde genommen näher an Bayern an die bayerischen Städte heranwächst
weil das ja klar ist weil aus dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen."
Nun, die Shanghaier haben die Magnet-Bahn schon seit 2005, ganz ohne Stoibers Unterstützung. Leider sind
wir ziemlich spät dran, als wir mit der S-Bahn die Station endlich erreichen. Für Patric reicht es ganz bequem zum
Flughafen, aber wir müssen pünktlich um 8:00 Uhr schon wieder von dort zurück sein, um unseren nächsten Termin nicht
zu verpassen. Also heißt es verfrüht Abschied nehmen, aber auch diesmal verkneife ich mir die Tränen, irgendwie tröstet
es mich, dass Patric jetzt nicht ins fremde Mainz sondern nach Hause, nach Döbbrick reist.

Zaimin, ein ehemaliger chinesischer Doktorand von Dieter, arbeitet jetzt an der Tongji-Universität
in Shanghai. Mit ihm wollen wir den heutigen Tag verbringen und er holt uns mit dem Auto an der Maglev-Station ab. Es
ist ein sehr freudiges und freundschaftliches Wiedersehen, Zaimin spricht nach wie vor ganz prima deutsch und trotzdem
verfallen wir im Gespräch immer mal wieder ins Englische, sobald sich ein paar englische Fachbegriffe oder Bezeichnungen
häufen. Dieter hält an der Tongji einen Vortrag, wir schauen uns die seit unserem letzten Besuch 2005 neuen Gebäude und
Einrichtungen an, führen viele interessante Gespräche auch mit anderen Professoren, so dass der Tag viel zu schnell
vergeht. Zaimin lässt es sich nicht nehmen, uns mit dem Auto ganz bequem zum neuen Honqiao-Bahnhof zu bringen und
schwubs sitzen wir schon wieder im Schnellzug nach Nanjing, wo unsere 19-tägige Urlaubsreise dann wirklich zu Ende
geht.
Donnerstag, 6.9. - Photoshooting auf chinesisch
Neben Wäsche waschen, wie nach jedem Urlaub, steht bei uns ganz groß VISUM auf der Agenda. Viel
Zeit ist nicht mehr. In unserer Aufenthaltsgenehmigung steht ganz deutlich, dass wir am Mittwoch, den 12.9.2012 das Land
wieder zu verlassen haben. Also her mit der Verlängerung. Unsereins, als deutscher Beamter, hätte das natürlich am
liebsten gleich nach der Ankunft in China erledigt, aber die Chinesen machen ja alles generell auf den allerletzten
Drücker. Unsere Gastgeber und Helfer von der Uni müssen wir jedoch ein wenig in Schutz nehmen. Inzwischen wissen wir,
dass eine Verlängerung oder Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung immer erst im letzten Monat vor Ablauf der alten
beantragt werden kann, aber damit hätte man das trotzdem noch eine Woche VOR unserem Urlaub machen können.
Dieter nimmt gleich morgens alle erdenklichen Papiere mit ins Büro, ich bleibe brav zuhause, weil
wir damit rechnen, dass wir irgendwo in einem Büro oder Amt persönlich zu erscheinen haben. Falsch gedacht - mal wieder!
Bob nimmt den ganzen Papierberg samt unserer Reisepässe und Passbilder an sich und geht alleine erst ins Außenamt der
Uni und dann auf's Polizeirevier. Dort mag man unsere Passbilder nicht, dabei sind das schon diese neuen, biometrischen
Verbrecher-Blick-Fotos. Der Hintergrund ist nicht weiß genug und vom Hals ist nicht genug zu sehen, außerdem sind sie
3 mm zu klein. Und ich dachte, die deutschen Bürokraten seien pingelig!
Für den frühen Nachmittag verabreden wir uns mit Bob also zum Fotograf. Er holt uns an der
Haustür ab und -wer hätte das gedacht- seit 8 Wochen laufen wir fast täglich an dem Fotostudio auf dem Campus vorbei
ohne es bemerkt zu haben. Ja, über der Tür prangt eine Leuchtreklame mit "Kodak", gelb mit bunten Streifen. Die hatte
ich bisher nie beachtet, den Laden hielt ich für einen Schnellimbiss oder ein Internetcafé. Gleich neben der Tür steht
ein Wasserspender und ein kleiner Herd, im Vorraum sitzen immer Leute, die irgendwas essen oder was anschauen oder sie
verstecken sich hinter einem Laptop. Auf ein Fotostudio wäre ich nun wirklich nicht gekommen. Bob lotst uns durch einen
Vorhang ins Hinterzimmer. Dort gibt es doch wirklich eine dicke Rolle mit verschiedenen Hintergründen an der Wand, im
Raum steht so ein Schirm, der was mit der Ausleuchtung zu tun hat, aber eine Kamera auf einem Stativ vermisse ich.
Stattdessen gibt's mehrere angefangene Gläser mit Tee, ein halb gegessenes Mittagessen und fürchterliche Unordnung,
nun ja… Bob diskutiert eine ganze Weile mit der Fotografin herum. In der Zeit hätte man in Deutschland die Fotos geschossen,
ausgesucht, entwickelt, zerschnitten, eingepackt und bezahlt. Aber in China braucht halt alles seine Zeit, es ist
unglaublich. Schließlich sind die beiden sich wohl endlich handelseinig. Die Fotografin holt den hellsten Hintergrund
hervor, den sie zu bieten hat: schmutzig beige! Auf keinen Fall weißer als unsere alten Passbilder, na wenn das mal gut
geht… Ich bin zuerst dran. Große Kamera auf dickem Stativ? Weit gefehlt! Halbgroße Digitalkamera mit eingebautem Blitz,
leicht gebeugte Knie, Luft anhalten - und schon haben wir ein Profifoto à la China geschossen. Dieter trägt ein sehr
hellblaues Shirt, das findet die Fotografin zu hell und bittet Bob (Größe M), er möge Dieter (Größe XXL) doch bitte kurz
sein dunkelrotes T-Shirt ausleihen. Ich muss mir so das Lachen verkneifen, aber die Jungs sind ganz brav und Dieter
zwängt seinen Wohlstandsbauch mit Luftanhalten und Bauch einziehen in Bobs Shirt. Auch er wird ruck-zuck abgelichtet.
Aber dann geht der Spaß erst richtig los. Die Fotografin zieht die Fotos auf ihren Computer und beginnt sie zu bearbeiten.
Da wird ein wenig gedreht und verschoben, hier und da was abgeschnitten, mehrfach nachgemessen damit auch die
polizeirelevante Größenvorschrift eingehalten wird. Und dann ersetzt sie digital ihren beigen Hintergrund durch weiß.
Das erklärt, warum sie Dieters Shirt nicht haben wollte, zu ähnliche Farbwerte. Aaaaaber: Als sie bei meinem Foto den
Hintergrund austauscht, geht auch der Großteil meiner Haare verloren wegen der farblichen Ähnlichkeit. Sehr hübsch!
Nie war mein Kopf so schlank wie heute! Aber sie weiß mit ihrem Programm umzugehen und malt mir einfach digital wieder
ein paar neue Haare hin. Und NEIN, ich stelle dieses Foto hier nicht zur allgemeinen Belustigung zur Verfügung!
Jedenfalls bekommen wir unsere Passbilder, mit allen Eigenschaften, die ein chinesisches Passfoto so haben muss: Genau
2 Inch hoch, weißer Hintergrund und ein klein wenig Decolleté oder Kragen mit drauf. Dass die Ähnlichkeit mit dem Modell
vor lauter Nachbehandlung verloren ging, ist ja nicht ganz so wichtig… Bob nimmt die Schnap(s)schüsse an sich und geht
erneut auf's Polizeirevier. Per mail erfahren wir 2 Stunden später, dass die Verlängerung wahrscheinlich genehmigt wird,
allerdings erst am nächsten Mittwoch!
Die Tage bis Mittwoch verbringen wir also in Lauerstellung. Es wird nicht mehr viel eingekauft,
stattdessen die Vorräte weggefuttert. Alle Absprachen für die nächsten Termine versehen wir mit einem dicken
Fragezeichen. Während ich im Geiste schon die Koffer packe und überlege, wie ich was wo verteile, macht Dieter
sich eher Gedanken darüber, ob wir wohl postwendend verhaftet werden, denn die Polizei weiß ja, dass wir ab
Donnerstag "illegal" sind.
weiter zur 9. Woche
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