Wir sind dann mal in China...11. Woche
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Woche 11 - Soldaten auf dem Campus
1985 begann man in China mit der militärischen Wehrertüchtigung in Schulen und Universitäten.
Zuerst gab es nur einige Pilotprojekte, mittlerweile ist dieses Training fast flächendeckend in 22.000 weiterführenden
Schulen und 2.000 Universitäten zum Pflichtprogramm für 17 Millionen Schüler und Studenten geworden. Neben dem
theoretischen Unterricht werden in verschiedenen Jahrgängen unterschiedliche militärische Grundübungen trainiert.
Laut Beschluss des Zentralkomitees verfolgt die Wehrertüchtigung insbesondere den Zweck
den patriotischen Geist zu fördern und den Verteidigungsgedanken zu verbessern
Idealismus und Charakter zu stärken
das Gemeinschaftsgefühl zu formen
das revolutionären Heldentum aufrecht zu erhalten

Schöne Worte! Aber den Studenten macht das sogar Spaß, haben wir uns erzählen lassen. Das geht
auch nur über einen begrenzten Zeitraum immer zu Beginn des Schul- bzw. Studienjahres, so ca. 2 Wochen lang. Wenn man
jetzt über den Campus läuft, sieht man also in allen Ecken große und kleine Gruppen von Studenten in Uniform stramm
stehen, marschieren, salutieren. Und auf dem Sportplatz geht's mit großem, martialischem Gebrüll ans Rennen, Klettern,
Robben und was es da so alles gibt.
Im Gegensatz zu dieser eher sportlich, militärischen Herausforderung, hat mich eine andere
militärische Sache gerade hier in Nanjing wirklich entsetzt. Sicher habt ihr alle mitbekommen, dass China und Japan
gerade im Klinsch liegen wegen ein paar unbewohnter Inseln zwischen beiden Ländern, die Diaoyu-Islands. Im Fernsehen
wird täglich in epischer Breite darüber berichtet und Japan in ein wirklich schlechtes Licht gerückt. In China gibt es
überall große Protestdemonstrationen, keiner kauft mehr japanische Produkte und man reist auch nicht mehr nach Japan.
Diese Anti-Haltung wird von Politik und Medien hoch gehalten und unterstützt. Aber den Gipfel veranstaltet man in
Nanjing: Im Dezember jährt sich zum 75. Mal das sog. Massaker von Nanjing, als im zweiten Weltkrieg japanische Truppen
Nanjing besetzten und in der Zivilbevölkerung brutalst wüteten.
In unseren Breiten würde man die Erinnerung an diese Grausamkeiten auch wachhalten, ebenso wie
das Gedenken an den Holocaust. Aber sowohl Täter als auch Opfer nutzen in Europa solche Gedenkstätten insbesondere dazu,
sich zu erinnern und kommenden Generationen klar zu machen, dass solches nie wieder geschehen darf. Es sind Stätten des
Friedens für die Zukunft, würde ich mal sagen. In Anbetracht des derzeitigen Zoffs mit Japan, lädt Nanjing nun
zig-tausende von Schülern ein, die Massaker-Gedenkstätte zu besuchen. In der englischen Übersetzung einer Stellungnahme
der Nanjinger Gedenkstätte hieß es:
"Die Schüler werden die Schreie der Opfer hören, das Blutbad sehen und sie werden sich daran erinnern in welcher
Weise die Japaner das chinesische Volk gedemütigt und entwürdigt haben. Sie werden ermutigt zu fotografieren und
Tonaufnahmen im Museum zu machen und ihre Gedanken und Gefühle nieder zu schreiben. Dadurch werden die Schüler einen Schritt
weiter kommen bei der Entwicklung eines passionierten Patriotismus."
Ist das nicht eine freundliche Art, die heutige chinesische Jugend auf ein friedliches, weltweites
Miteinander einzustimmen?
Montag, 24.9. - deutscher Einkauf - internationales Dinner

Am Vormittag unternehme ich mal wieder eine längere Reise zum Carrefour-Supermarkt. In erster
Linie brauche ich Kaffee. Löslichen Kaffee gibt es fast überall in verschiedenen Varianten zu kaufen, aber gemahlenen
Kaffee zum Aufbrühen bekommt man nur selten und wenn, dann kosten 250 g rund 6,- Euro. Aber auf meine Tasse Kaffee
morgens und am Nachmittag kann und mag ich einfach nicht verzichten. Wie so oft, findet man manche Dinge am ehesten
dann, wenn man nicht explizit danach sucht und so liegen heute ganz unvermutet plötzlich dutzende von Packungen original
deutschen Vollkornbrots im Regal neben dem lätschigen Toastbrot. Da muss ich natürlich zugreifen. Neben französischen
Kaffee, wandern noch deutsche Gewürzgurken, Salatsoße und Käse in meinen gänzlich unchinesischen Einkaufswagen.
Abends sind wir gemeinsam mit allen anderen "foreign experts", so rund 40 Personen incl. Familien,
zum Dinner eingeladen. Entgegen unserer Vermutung findet dieses nicht im Uni-Hotelrestaurant sondern 30 Minuten Busfahrt
entfernt im westlich orientierten Westin-Hotel statt. Vom 23. Stock aus hat man einen wunderschönen Blick über die
abendliche Stadt und den nahegelegenen Xuanwu-See, zu dumm, dass ich meinen Foto nicht dabei habe.
Das Essen ist sehr lecker und wird als Buffet angeboten. Da gibt es eine wirklich große Auswahl
von japanischem Sushi über chinesische Meeresfrüchte aller Art bis zu amerikanischem Steak oder englischen Bohnen mit
Speck, darüber hinaus natürlich alles, was der chinesische Wok so zu bieten hat. Wir lassen es uns schmecken. Etwas
ungewohnt für so ein High-Class-Restaurant: Softdrinks nimmt man sich als Dosen aus einer Eiswürfeltheke.
Bei dieser Gelegenheit lernen wir einen großen Teil unserer Hausnachbarn kennen. Ok, dem ein oder
anderen ist man schon mal flüchtig im Treppenhaus begegnet, aber heute kann man mal richtig ins Gespräch kommen. Es sind
Amerikaner und Engländer, die meist als Muttersprachler hier Englisch unterrichten. Direkt über uns wohnt das amerikanische
Ehepaar Emily und Steve. Sie arbeitet als Englischlehrerin für Studenten, er ist Professor in irgendeiner technischen
Disziplin - habe ich mal wieder nicht so ganz mitbekommen. Die beiden sind etwas älter als wir und wir verstehen uns
sehr gut.
Samstag, 29.9. - Doktorprüfung mit anschließender Feier
Dieter wurde gebeten, bei der heutigen Doktorprüfung als Mitglied der 7-köpfigen Prüfungskommission
zu fungieren. Seine erste Vermutung, dass man ihm einerseits die schriftliche Dissertation rechtzeitig vorher zur
Verfügung stellen würde und dass die ganze Sache auf Englisch stattfände wurden jäh enttäuscht: Alles pur Chinesisch.
In jeder wortreichen Disziplin wäre das ja ein echtes Problem, aber im Ingenieurwesen geht es ja doch viel um Formeln
und Schemazeichnungen, so dass Dieter tatsächlich einigermaßen treffsicher verfolgen konnte, was die junge Kandidatin
niedergeschrieben hatte und zum Vortrag brachte. Seine in Englisch formulierten Fragen beantwortete sie denn auch
problemlos zu seiner vollen Zufriedenheit. Also konnte Dieter am Ende reinen Gewissens seine Unterschrift auf der
chinesischen Urkunde platzieren.
Die anschließende Feier fällt für unsere Begriffe riesengroß aus, denn der gesamte Lehrstuhl ist
mit Kind und Kegel eingeladen, also wieder eine ganze Busladung mit rund 45 Personen. Auf Nachfrage erfahren wir, dass
solche Feiern normalerweise kleiner seien, diese aber mit der "Mid-Autumn-Festival-Feier" zusammenfiele. Über dieses Fest
berichte ich in der kommenden Woche mehr.

Mit einem gecharterten Bus und einem Van fahren wir mal wieder stadteinwärts in ein feines Lokal, wo man 4
Separés zu einem größeren Bankettsaal für unsere Gesellschaft durch geöffnete Schiebetüren miteinander verbunden hat.
So finden wir uns an 4 großen runden Tischen wieder und die Sitzordnung trennt mich doch wirklich von meinem
Göttergatten! Der sitzt am "Wichtig-Tisch" mit den Herren der Prüfungskommission und der frischgebackenen Frau Doktor
nebst Vater und Bruder. Am nächsten Tisch finde ich mein Tischkärtchen neben den Gattinnen der Prüfungskommission und
deren z.T. noch kleinen Kindern und 2 Doktorandinnen, also alles Chinesinnen um mich herum. Tisch 3 ist der arabischen
Fraktion mit Prof. Abbas aus dem Iran und 2 ägyptischen Doktoranden mit Frauen und je 2 Kindern plus unserem Freund Bob
und einer weiteren chinesischen Doktorandin vorbehalten. Am Tisch 4 versammeln sich alle anderen Doktoranden und
Bürokräfte. Das Essen ist lecker und abwechslungsreich und an meinem Frauentisch ist das Thema Alkohol kein Problem,
wir haben Rotwein in sehr kleinen Gläsern. Am arabischen Tisch fällt Alkohol aus Glaubensgründen komplett aus, aber an
den beiden übrigen Tischen wird so richtig chinesisch gebechert. Dieter erzählt, dass er nach 20 Minuten bereits
abgefüllt war. Bis dahin hatte jeder Einzelne am Tisch ihm persönlich mit diesem völlig ungenießbaren chinesischem
Schnaps zugeprostet, d.h. er nickt Dieter zu, erhebt sich mit seinem Schnapsglas, spricht ein paar freundliche Worte
und die Aufforderung "ganbei" bedeutet soviel wie "hopp und ex" Glas leeren. Das dann 9 mal und die Stimmung steigt.
Aber dabei bleibt es ja nicht, dieses Zuprosten geht durch den ganzen Saal und zwischendurch wird auch mal ein ganzes
Weinglas auf einen Zug geleert. Die geprüfte Doktorandin kommt nach 2 Stunden auch nicht mehr geradeaus daher… Eigentlich
sind alle, außer den vorhin genannten, gut betrunken und damit gilt das Fest als gelungen.
Zwischendrin wird mal das Licht gelöscht und eine Geburtstagstorte mit Tischfeuerwerk
hereingeschoben. Prof. Rui hat Geburtstag, aber nicht etwa heute, sondern übermorgen! Nun gut, andere Länder andere
Sitten, jedenfalls ist das natürlich ein willkommener Anlass für sehr viele weitere Trinksprüche mit sehr vielen weiteren
Ganbei-Schnapsgläsern…
Quizfrage: Welches Geburtsdatum steht im Ausweis von Prof. Rui?
31. September ? Antwort A
1. Oktober ? Antwort B
16. August ? Antwort C
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