In Nanjing werden die Straßenfeger jetzt elektronisch überwacht. Die städtischen Reinigungskräfte sind angewiesen, ein
elektronisches Armband zu tragen, das ihre Bewegungen misst und ihren genauen Standort an eine Leitzentrale übermittelt.
"Wenn ich mich 20 Minuten lang nicht von der Stelle bewege, spricht es zu mir", wird einer der Straßenfeger zitiert.
"Es sagt: ‚Mach weiter! Mach weiter!'"
Zuerst war diese Technik mit Polizisten erprobt worden. Jedem von ihnen war ein Radius vorgegeben worden, in dem er
patrouillieren sollte. Sobald ein Beamter diesen verließ, erhielt sowohl er selbst als auch die Leitzentrale eine
Warnmeldung. Ziel sei es, eine lückenlose Abdeckung des Stadtgebiets zu gewährleisten, berichtete der Chef des
städtischen Ordnungsamts, Zhao Gui Fei.
Dass die Technik nun auf Straßenfeger ausgeweitet wird, ist ein weiteres Beispiel für die zunehmende Durchdringung aller
Lebensbereiche in China mit Überwachungstechnik. Getrieben wird diese Entwicklung auch von übereifrigen Lokalbehördenchefs,
die sich als innovativ und technikaffin hervortun wollen - auch um die eigenen Aufstiegschancen im Parteiapparat zu
verbessern. Die Behörden bieten sich Unternehmen als Experimentierfeld auf der Suche nach neuen Anwendungsmöglichkeiten
für ihre Technik an.
Rechtliche Grenzen für den Einsatz von Überwachungstechnik gibt es in China kaum. So tragen die Ordnungshüter in Nanjing
an ihren Uniformen Kameras, deren aufgezeichnete Daten künftig mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ausgewertet werden
sollen. Auch der Phantasie scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein: Eine andere Stadt installierte zum Beispiel mit Hilfe
eines Unternehmens Kameras mit Gesichtserkennung an einem Fluss, um Schüler vor dem Ertrinken zu retten. Die Software
wurde mit den Gesichtsdaten der Schüler aller umliegenden Schulen gefüttert, und sobald einer von ihnen sich dem Gewässer
nähert, wird eine Nachricht an die Eltern und die Schule versandt.
Der Technikhype wird angetrieben durch das Ziel der chinesischen Führung, das Land bis 2030 zum "weltweit führenden
Innovationszentrum für Künstliche Intelligenz zu machen". Dahinter steht ein riesiger Markt, dessen Volumen der Staatsrat
für das Jahr 2030 auf 150 Milliarden Dollar schätzt.
WATCHING am Niushoushan
WATCHING auf dem Campus
Die Überwachungskameras sind allgegenwärtig, es gibt kaum eine Ecke -auch auf dem Unicampus- wo man nicht vielleicht
doch wieder gefilmt wird. Heimliches in der Nase bohren sollte man also tunlichst unterlassen...
Auf den Straßen werden die Autos alle paar hundert Meter gescannt, angeblich nur, um die an der Windschutzscheibe
aufgeklebten Versicherungs- und TÜV-Bestätigungen auszulesen. Aber man munkelt, dass man sehr genau gefilmt wird, wer
wann wo mit wem in welchem Auto unterwegs ist.
WATCHING im Straßenverkehr
Mein Weg zum Supermarkt wird auch alltäglich genauestens überwacht. Aber ich mache ihnen einen Strich durch die
Rechnung, indem ich mit Bargeld bezahle! Ääääätsch !!!! Keiner erfährt, WAS ich wie teuer eingekauft habe. Sie sehen
lediglich, ob ich viel oder wenig zu schleppen habe auf dem Heimweg.
WATCHING auf der StraßeWATCHING an der Ampel
WATCHING in der Fußgängerzone
Wenn Kameras jede Gesichtsregung auswerten
In der Region Guangzhou treibt China die Überwachung auf die Spitze: Kameras und Künstliche Intelligenz bespitzeln
Schüler im Klassenzimmer. Sie studieren die Gesichtsausdrücke der Schüler während des Unterrichts ganz genau -
abschreiben oder gar einschlafen wird hier keiner. Offiziell sollen die Daten, die gesammelt werden, Aufschluss
darüber geben, ob und wie sich das Lernverhalten verändert.
Was für Deutschland undenkbar wäre, ist Teil eines Plans, mithilfe künstlicher Intelligenz Chinas Schüler digital
zu optimieren. Das Kamerasystem kann erkennen, ob Schüler interessiert sind, traurig, wütend oder gelangweilt. Während
der Lehrer im Unterricht die Augen nicht überall hat, kann er nun am Nachmittag die Kameraaufzeichnungen studieren und
sich ein genaueres Bild seiner Schüler machen.
Neben der Aufzeichnung schulischer Leistungen liefert die Datenerfassung ebenso eine Analyse des Ernährungsverhaltens
der Jungen und Mädchen, indem das System die Schüler auch in der Mensa per
Gesichtsscan identifiziert und die Abbuchung des Geldes für das Essen regelt. Praktischerweise können auch die Eltern
gleich informiert werden, ob die Kinder sich in der Mensa gesund ernähren oder bevorzugt zu Kohlenhydraten und
süßen Getränken greifen. Um auch das "freiwillige Leseverhalten" der Schüler zu überwachen, wird in der
städtischen Bücherei per Gesichtsscan verliehen und die Daten fein säuberlich zu einem entsprechenden
Schüler-Gesamtbild zusammengeführt.
Sozialkredit-System
Nach offizieller Lesart besteht das Ziel darin, die chinesische Gesellschaft durch eine umfassende Überwachung zu
mehr "Aufrichtigkeit" im sozialen Verhalten zu erziehen.
Das System befindet sich bis 2020 in der Testphase. Verteilt über ganz China laufen Pilotprojekte mit unterschiedlichen
Schwerpunkten. Die Erfahrungen werden dann gebündelt, um zu entscheiden, welche der Möglichkeiten ab Ende 2020 im
ganzen Land verbindlich umgesetzt werden.
Personen starten mit 1000 Punkten. Je nach Verhalten werden Punkte hinzuaddiert oder abgezogen. Zur Bewertung werden
neben der Kreditwürdigkeit, der Zahlungsfähigkeit und dem Strafregister auch "persönliches Verhalten und Vorlieben" und
"persönliche Beziehungen" herangezogen. Chinesische Staatsbürger mit einem positiven Rating bekommen schnelleren Zugang
zu Konsumkrediten und werden bei Ausreisebestimmungen bevorzugt, wie z. B. bei der Beantragung eines Visums. Umgekehrt
muss mit negativen Sanktionen gerechnet werden. So wurde Anfang 2019 bekannt, dass die chinesische Regierung im Jahr
2018 auf Basis von Daten aus dem Projekt "Goldener Schild", den Kauf von mehreren Millionen Flugtickets Zugfahrtscheinen
durch Personen verweigert hatte, weil man den Reisenden verschiedene kleinere Verstöße zur Last legte
und sie so über zu wenige Sozialpunkte verfügten.
Daten werden immer und überall gesammelt. Es gibt kaum eine Straßenecke, die nicht von einer Videokamera überwacht ist,
damit lassen sich schon mal die Wege nachvollziehen. Außerdem senden mehr als 200 Hersteller von Elektro-Autos,
darunter VW, BMW und Daimler, Tesla, Ford, General Motors, Nissan, Mitsubishi und Nio seit 2017 gemäß nationaler
Normung ca. 61 Messwerte, darunter zur Akku- und Motorenfunktion und Standortdaten regelmäßig an Auswertezentren.
Bezahlt wird fast ausschließlich per Handy mit der Alipay-App, dadurch dürfte es ein Leichtes sein, die
Einkaufsgewohnheiten und den Umgang mit Geld zu überwachen. Das Auslesen der Aktivitäten in sozialen Medien dürfte
Systemkritiker und notorische Nörgler recht einfach überführen.
In China ist die digitale Rundumüberwachung und Verhaltenskontrolle der Bürger schon länger Alltag. Viele Chinesen
sind durchaus bereit, Überwachungskameras, Gesichtserkennung oder gar Zensur- und Spionage-Apps hinzunehmen, wenn das
zu mehr Sicherheit führt. Unser persönliches Empfinden ist, dass China bereits (oder immer noch?) ein vergleichsweise
sicheres Land ist. Allerdings schauen wir natürlich nicht hinter die Kulissen, wo evtl. Jobs oder Beförderungen nach
nicht nachvollziehbaren Kriterien verteilt werden. In unserem Alltag haben wir weder in Nanjing noch in Shanghai oder
sonstwo das Gefühl, dass man manche Straßenzüge meiden oder seine Handtasche fest umklammert haben sollte. Aber unser
Blickwinkel ist auch ein ganz anderer als der des Chinesen.